Guter Stil als DIN Produkt

„Ich geb’ dir gleich veraltete Sprache, du NARR!“*

…war meine exakte, eventuell leicht übertriebene, Reaktion auf die liebevolle Anmerkung meines Textverarbeitungsprogramms, ich solle doch vermeiden „veraltete Sprache“ zu verwenden.

Ich finde es erstaunlich, dass die von digitalen Dienstleistungsprogrammen kommerzialisierte Vereinheitlichung sich mittlerweile anmaßt, wissen zu wollen, was Stil ist.

Das denke ich weder, weil ich einen grundsätzlichen Hass auf digitale Dienstleistungsprogramme hege (ganz im Gegenteil) noch, weil ich meinen eigenen Stil als so toll und über jeglicher Kritik schwebend ansehe.

Stil ist jedoch eine Frage des Moments und des Geschmacks.

Ich könnte einer Software zwar noch zutrauen, ersteres in einer Vielzahl von Fällen annehmbar korrekt zu erkennen, aber ich traue keiner Software dieser Welt wirklichen Geschmack oder irgendeine Form tiefgreifenden Stilgefühls zu.

Auch lebt Stil eben von einer heterogenen Mischung aus Ecken und Kanten, bewusster und unbewusster Wortwahl, fixen Ideen…
Das fällt weg, wenn nachträglich mit einer Sense normierter Textanforderungen darüber geschnitten wird.

Beste Grüße
Leonie

Die „veraltete Sprache“, um die es sich handelte, war übrigens „selbiges“. Statt der archaischen Wortwahl werde ich an dieser Stelle aus Platz- und Zeitgründen vermeiden, darauf einzugehen, was ich davon halte.

*Ich lade den Leser ein, hier den inneren Torsten Sträter als Vorleser zu bemühen.

Agatha Christie und die Kunst des Kriminalromans

07.01.22 | Agatha Christie und die Kunst des Kriminalromans

Zu Weihnachten habe ich von meinem Bruder einen Thalia Gutschein geschenkt bekommen, wodurch ich die Gelegenheit hatte spontan zwei, drei Bücher zu kaufen, ohne mir zuvor zu überlegen, was eigentlich gerade auf meiner Liste steht. (Nicht, weil ich das sonst nicht auch könnte, sondern weil ich Gutscheine gerne auch dafür hernehme, mich mit einer Kleinigkeit sozusagen zu überraschen)

Am Ende bestand meine Ausbeute aus einem historischen Roman und zwei Kriminalromanen. Um den Roman („Die Dame hinter dem Vorhang“) soll es an dieser Stelle aber nicht weiter gehen.

Die Kriminalromane, das waren „Das Geheimnis der goldenen Schnalle“ und „Das Geheimnis von Sittaford“ von Agatha Christie.
Ein Geheimnis ist offensichtlich nicht die Titelsystematik der deutschen Christie Übersetzungen.

„Das Geheimnis der goldenen Schnalle“ habe ich gerade noch heute Nacht beendet. Mir ist bei beiden Roman wieder einmal aufgefallen, weshalb ich gute Krimis immer auch über ihre konkrete Handlung hinaus bewundernswert finde.

Was den Aufbau angeht, teilt der Kriminalroman sein Schicksal mit dem klassischen Thriller. Bei beiden weiß man doch recht genau wie es ausgehen soll, denn der Ausgangspunkt dafür wurde schon zu Beginn gesetzt. Es gibt ein Rätsel (meist einen Mord), also muss es auch etwas (meist eine Person, regelmäßig zwei, selten mehrere) dahinter geben. Das ist das Grundproblem.

Problem Nummer zwei ist Folgendes: Es ist selten sinnvoll einen Täter zu wählen, den der Leser erst in der letzten Seite kennenlernt. Ein guter Krimiautor muss es also irgendwie schaffen, mit möglichst früh auftretenden Charakteren Spannung aufzubauen und ihnen bei Bedarf passende neue Facetten anzudichten.

Da gibt es nun zwei Möglichkeiten, die die Grenzen eines allgemeinen Krimi-Handlungssprektrums stellen.

1. Die Vorabend-Krimi Deklination:

Der Täter wird hier bereits zu Beginn (als Angehöriger oder Verdächtiger) vorgestellt, dann jedoch abwechselnd von anderen Verdächtigen mit stichhaltigeren Beweisen abgelöst, um anschließend durch einen neuen schockierenden Beweis doch überführt zu werden.

(Der sehr gute Krimiautor hebt sich bei der Vorabend-Krimi Deklination übrigens dann leicht von seinen Kollegen ab, wenn er es schafft, das Motiv des Täters so zu gestalten, dass es gerade so überraschend kommt, dass es der aufmerksamste Leser oder Zuhörer mit viel Kreativität doch noch hätte erkennen können.)

2. Die ratlose Masse:

Kurz: Alle sind verwirrt und sich dessen auch bewusst. Die Reihenfolge, nach der die Charaktere vorgestellt werden, erlaubt keine Hinweise darauf, wer wahrscheinlicher Täter war oder nicht. Besonders ist vor allem, dass der Ermittler lange Zeit selbst wissentlich im Dunkeln tappt.

In beiden Kategorien aber entstehen Erwartungshaltungen, denn der versierte Leser wird diese Strukturen erkennen und mit neuen Mustern ausgearbeitet sehen wollen.

Das Problem entstand für mich bei „Das Geheimnis von Sittaford“

In diesem Roman wurde die Vorabend-Krimi Deklination sehr simpel eingebaut.
Wen man zuerst kennenlernte, war Täter. An sich ist das immer noch der beste Weg zum Klassiker. Problematisch wurde es aber mit der Auflösung. Nachdem ich alle Figuren relativ ereignislos kennengelernt hatte, habe mich auf eine phänomenale Agatha Christie typische Auflösung à la „Mord im Orient Express“ oder „And then there were none“ gefreut, aber als es gerade spannend wurde, wurde der Täter einfach als der Herr vom Anfang entlarvt. So viel verschenktes Potenzial.

In „Das Geheimnis der goldenen Schnalle“ wurde das Ganze jedoch wieder sehr, sehr schön gelöst

…und es hat unglaublich viel Spaß gemacht zu lesen.

Es zeigt sich offensichtlich wieder, dass es erfolgversprechend ist, wenn den ungeschriebenen Regeln des Kriminalromans durch den Autor irgendwo Folge geleistet wird. Schließlich hat man auch nur eine gewisse Menge von Charakteren, mit denen man spielen können muss.